
Transparenz als neue Währung
Die Industrie steht an einem Wendepunkt: Produkte sollen nicht nur leistungsfähig, sondern auch nachhaltig, transparent und nachvollziehbar sein.
Mit dem Digitalen Produktpass (DPP) schafft die Europäische Union die Grundlage dafür. Ziel ist es, den gesamten Lebenszyklus eines Produkts – von der Rohstoffgewinnung über die Herstellung bis zum Recycling – digital abzubilden.
Doch hinter der neuen Regulierung steckt mehr als nur ein weiteres Datenprojekt. Der DPP ist ein strategisches Werkzeug, das Unternehmen hilft, Wissen, Prozesse und Nachhaltigkeit miteinander zu verknüpfen.
Was steckt hinter dem Digitalen Produktpass?
Der DPP ist – vereinfacht gesagt – ein digitaler Datensatz, der alle relevanten Informationen zu einem Produkt enthält.
Dazu gehören:
- Materialzusammensetzung und Herkunft der Rohstoffe
- Produktionsprozesse und Energieverbrauch
- Transport- und Lieferketteninformationen
- Wartungs-, Recycling- und Entsorgungsdaten
Diese Informationen stammen aus allen Phasen des Produktlebenszyklus und werden entlang der Wertschöpfungskette ergänzt. So entsteht ein durchgängiges digitales Abbild jedes Produkts – ein „digitaler Zwilling für Nachhaltigkeit“.
Der DPP wird durch die EU-Ecodesign-Verordnung for Sustainable Products Regulation (ESPR) verpflichtend und gilt zunächst für ausgewählte Produktgruppen wie Batterien, Textilien oder elektronische Geräte. Mittelfristig wird er für nahezu alle industriellen Güter relevant sein – auch für Branchen wie die Stahl- und Aluminiumindustrie oder den Maschinenbau.
Wie funktioniert das Ganze?
Der Digitale Produktpass ist kein einzelnes PDF oder Formular, sondern ein vernetztes Datensystem, das Informationen aus unterschiedlichen Quellen zusammenführt.
Zwei technische Hauptansätze sind derzeit in Europa maßgeblich:
- AAS (Asset Administration Shell) – entwickelt im Rahmen von Industrie 4.0.
Sie strukturiert Produktdaten standardisiert und eignet sich besonders gut für Maschinen-, Produktions- und Prozessdaten. - CIRPASS / Linked Data – ein Ansatz auf Basis semantischer Webtechnologien (Resource Description Framework).
Er ermöglicht eine flexible, dezentrale Datenverknüpfung über Unternehmensgrenzen hinweg.
Beide Wege führen letztlich zum gleichen Ziel: transparente, interoperable Produktinformationen entlang der gesamten Wertschöpfungskette.
Was bedeutet das für Hersteller?
Für Hersteller, Zulieferer und Verarbeiter bedeutet der DPP vor allem eines: Datenintegration.
Alle Systeme – von ERP über MES bis zu Energiemanagement und Logistik – müssen künftig in der Lage sein, strukturierte, maschinenlesbare Informationen bereitzustellen.
Die Herausforderung
Viele Daten liegen bereits in Unternehmen vor, aber nicht verknüpft oder standardisiert.
Der DPP fordert, diese Informationsinseln zu verbinden:
- Produktionsdaten aus Maschinen und Anlagen
- Energie- und Emissionsdaten aus dem Betrieb
- Transport- und Lieferinformationen aus der Logistik
- und perspektivisch: Rückmeldungen aus der Nutzung oder dem Recycling
Gerade für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) ist das eine große Herausforderung – aber auch eine enorme Chance, Transparenz, Effizienz und Nachhaltigkeit gleichzeitig zu verbessern.
Vom Compliance-Tool zur Innovationschance
Wer den DPP nur als bürokratische Auflage sieht, verschenkt Potenzial.
Richtig umgesetzt, wird er zum Treiber für Innovation und Digitalisierung:
- Nachhaltigkeit sichtbar machen: Unternehmen können ihren ökologischen Fußabdruck präzise belegen.
- Prozesse verstehen und optimieren: Daten aus Produktion und Betrieb werden erstmals durchgängig nutzbar.
- Neue Geschäftsmodelle: Transparente Lebenszyklusdaten eröffnen Chancen für Rücknahme, Remanufacturing oder Service-Modelle.
- Vertrauen schaffen: Kunden, Behörden und Partner erhalten verlässliche, überprüfbare Produktinformationen.
Der Digitale Produktpass in unserem Forschungsprojekt GENIUS

Im Forschungsprojekt GENIUS wird der DPP nicht nur als regulatorische Pflicht, sondern als strategisches Bindeglied zwischen Wissen, Daten und Nachhaltigkeit betrachtet.
Ausgangspunkt
Wissen ist eine der wertvollsten Ressourcen eines Unternehmens. Doch insbesondere KMUs stehen vor der Herausforderung, dieses Wissen langfristig zu sichern und zugänglich zu machen – insbesondere in Zeiten von Fachkräftemangel und Marktdruck.
Zugleich steigen die Anforderungen: flexible Produktion, volatile Energiepreise und rechtliche Verpflichtungen wie der DPP.
GENIUS adressiert diese Herausforderungen gemeinsam: Der DPP wird als Datengrundlage für Nachhaltigkeit genutzt, während KI-basierte Systeme Wissen erhalten, verknüpfen und zugänglich machen.
Ziel
Das Ziel ist ein „Fabrik-Buddy“ – ein digitaler Assistent, der Planung, Produktion und Nachhaltigkeit intelligent verbindet. Er kennt die Daten der Fabrik, versteht deren Zusammenhänge und hilft, bessere Entscheidungen zu treffen – sei es bei Energieeffizienz, Angebotslegung oder Fabrikplanung.
Umsetzung
Technisch wird GENIUS auf einem Multi-Agenten-LLM-System mit Wissensbasis, Ontologie und generativer Oberfläche bestehen. Damit können nicht nur Daten, sondern auch Erfahrungen und Fachwissen in den digitalen Kreislauf integriert werden. So entsteht ein daten- und wissensgetriebenes Ökosystem, in dem der DPP ein zentraler Baustein ist.

Transparenz als Wettbewerbsvorteil
Der Digitale Produktpass ist kein Selbstzweck. Er ist das Verbindungsstück zwischen Nachhaltigkeit, Digitalisierung und Wissenstransfer – und damit ein Schlüssel für die Zukunftsfähigkeit der Industrie.
Unternehmen, die den DPP nicht als gesetzlichen Zwang, sondern als Chance zur Integration und Innovation begreifen, werden zu den Gewinnern der neuen Transparenz-Ära gehören.



